Damit der Versicherer das ihm angetragene Risiko adäquat versichern kann, ist er zwingend auf vollständige und wahrheitsgemäße Angaben des Versicherungsnehmers angewiesen. Vor diesem Hintergrund, treffen den Versicherungsnehmer umfangreiche Anzeigepflichten (richtigerweise Obliegenheiten), die er vor Vertragsbeginn zu erfüllen hat.
Ob die Angaben des Versicherungsnehmers vollständig und wahrheitsgemäß erfolgt sind (insbesondere im Bereich der Krankenversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung) wird in der Praxis meistens erst im Rahmen einer konkreten Regulierungsentscheidung (mit-) geprüft. Was der Sachbearbeiter bei einer Prüfung der vorvertraglichen Anzeigepflicht (VVaz-Prüfung) zu beachten hat, wollen wir kompakt darstellen.
Der Versicherer wird in der Regel mit einem Leistungsanspruch aus der jeweiligen Versicherung konfrontiert und prüft -sofern dies geboten und angemessen erscheint, ob der Versicherungsnehmer - vor Antragstellung- vollständige und wahrheitsgemäße Angaben getätigt hat.
Hierzu holt er sich entsprechende Auskünfte (auch von Dritten) ein. In der Praxis wird im Bereiche der PkV, BU-Vers, LV die Patientenakte, der Auszug des Vorversicherers oder direkte Auskünfte bei den behandelnden Ärzten (freiwlich nach Zustimmung des VN) eingeholt.
In einem ersten Schritt wird zunächst sachlich geprüft, ob der VN falsche oder unvollständige Angaben getätigt hat. In Betracht kommen jedoch ausschließlich solche Angaben,
Gefahrerheblich, mithin anzeigepflichtig, sind alle Umstände, die geeignet sind, den Entschluss des Versicherers, einen Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen
zu schließen, zu beeinflussen.
Ausdrücklich danach gefragt hat der Versicherer nur, wenn die Frage in Textform übersandt worden ist. Wird die Frage von einem Versicherungsmakler gestellt, gilt sie grundsätzlich nicht als vom Versicherer gestellt (Auge und Ohr Rechtsprechung). Dann muss sich der Versicherer die Fragen erkenntlich zu eigen machen.
Stellt jetzt der Sachbearbeiter fest, dass eine objektive Falschbeantwortung vorliegt, geht die Prüfung der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung weiter.
Im zweiten Schritt hat sich der Sachbearbeiter mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Vertrag-bei Kenntnis der verschwiegenen Angaben, den Vertrag dennoch- wenn auch ggf. zu anderen Bedingungen (höhere Prämie, Ausschlüsse) eingegangen wäre.
Ist dies der Fall, wäre sowohl eine Kündigung als auch ein Rücktritt ausgeschlossen.
Sieht - nach den internen Annahmerichtlinien jedoch keine Möglichkeit, den Vertrag fortzuführen, muss die VVaz-Prüfung fortgeführt werden.
Im nächsten Schritt wird sich der Sachbearbeiter darüber Gedanken machen müssen, welche Verschuldensform für ihn in Betracht kommt, da hiervon maßgeblich die Gestaltungsrechte abhängig sind.
Von Bedeutung sind:
Wann liegt grobe Fahrlässigkeit vor?
Grob fahrlässig handelt, „wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade, außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste“
Wann liegt Vorsatz vor?
„Vorsatz erfordert das Wollen der Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm“
Wann liegt Arglist vor?
Die Arglist des VN verlangt, für über das Wollen der Obliegenheitsverletzung und der damit typischerweise einhergehenden Beeinflussung der Regulierungsentscheidung des VR hinaus, dass das Verhalten des VN zumindest bedingt vorsätzlich darauf gerichtet ist, dem VR einen Nachteil zuzufügen.
Kommt der Sachbearbeiter zu dem Ergebnis, dass er zulässig nach erheblichen Gefahrumstände, die für die Annahme des versicherten Risikos von Bedeutung waren, in Textform gefragt hat und der VN die Fragen (grob fahrlässig, vorsätzlich oder arglistig) falsch oder unvollständig beantwortet hat zudem eine Vertragsanpassung ausgeschlossen werden kann, wird er sich fragen müssen, welches Gestaltungsrecht er ausüben möchte.
Kündigung
Hat der VN die Anzeigepflicht schuldlos oder einfach fahrlässig verletzt und scheidet eine Vertragsanpassung aus, so kann der VR kündigen (vgl. § 19 Abs. 3 VVG).
Die Kündigung wirkt einen Monat nach dem Zugang der Kündigungserklärung. Dabei ist es unerheblich, wann der Haftungszeitraum begonnen hat. Die Frist, innerhalb derer die Kündigung erklärt werden muss, richtet sich nach § 21 Abs. 1 VVG
Die Auswirkung der Kündigung auf die Prämienzahlungspflicht richtet sich nach § 39 Abs,1 VVG.
Rücktritt
Der Rücktritt setzt voraus, dass der VN die Anzeigepflicht grob schuldhaft verletzt hat. Im Falle grober Fahrlässigkeit muss auch eine Vertragsanpassung ausscheiden. Auch hier müssen die Regelungen der §§ 21, 39 VVG beachtet werden.
Der Rücktritt ist nach § 21 Abs. 1 VVG innerhalb eines Monats schriftlich geltend zu machen. Das bedeutet, dass die Rücktrittserklärung dem Versicherungsnehmer innerhalb eines Monats nach der Kenntnis des Versicherers von der Anzeigepflichtverletzung zugehen muss. Dabei müssen die Gründe für den Rücktritt angegebene werden. Ein Nachschieben von Gründen nach Ablauf der Monatsfrist ist nicht möglich. Erlang der Versicherer allerdings Kenntnis von neuen Gründen, die einen Rücktritt begründen, beginnt die First von einem Monat erneut, so dass diese Gründe dann innerhalb der (neuen) Frist noch mitgeteilt werden dürfen.
Anfechtung des Versicherungsvertrages
Losgelöst von den Gestaltungsrechten - die § 19 VVG vorsieht (Anpassung, Kündigung und Rücktritt) kann der Versicherer den Vertrag anfechten, wenn die Obliegenheitspflichtverletzung arglistig erfolgt ist.
Ob man am Ende oder am Anfang die Prüfung vornimmt, ob zutreffend belehrt worden ist, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass man es prüft. Da die Gestaltungsrechte (Anpassung, Kündigung und Rücktritt eine zutreffende Belehrung voraussetzen, könnte man sie vor die Klammer ziehen, da es bei dessen Fehlen auf die weiteren Schritte nicht mehr ankommt. Wenn man so vorgeht, könnte man aber schnell übersehen, dass ggf. ein Anfechtungsgrund vorliegen könnte, der keine ordnungsgemäße Belehrung voraussetzt- sodass man dies- bei einer vorzeitigen Aufgabe der Prüfung- schnell übersehen könnte!
Schon aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, die Prüfung nach einer ordnungsgemäßen Belehrung an das Ende zu setzten.
Die Belehrung muss vollständig und richtig sein. Sie muss den VN über die Folgen einer Verletzung der Anzeigpflichten aufklären. Zu empfehlen ist, dass die Belehrung vor den Fragen erfolgt und sich Drucktechnisch deutlich vom Rest des Antrages abhebt. Zudem sollte man noch einmal unmittelbar auf die Belehrung vor dem Unterschriftenfeld deutlich hinweisen (Doppelte Warnfunktion).