Der BGH (BGH Urteil vom 14.07.2021 - IV ZR 153/20) hat deutlich hervorgehoben, dass es zur Bestimmung- wann der Eintritt der Berufsunfähigkeit anzunehmen ist, maßgeblich vom jeweiligen Versicherungsvertrag abhängig ist.
So ist bei Auslegung der jeweiligen Klausel denkbar, dass es zwei verschiedne Szenarien geben kann, die zu einem unterschiedlichen Leistungsbeginn führt. Die Klausel- über dessen Auslegung der BGH entschieden hatte, lautet wie folgt:
"1.2 Wann liegt vollständige Berufsunfähigkeit im Sinne die-
ser Bedingungen vor?
1.2.1 Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die ver-
sicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung, …
6 Monate ununterbrochen außerstande war oder vor-
aussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist,
ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesund-
heitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszu-
üben."
Wie legt der BGH Klauseln in Versicherungsbedingungen aus?
Versicherungsrecht ist in erster Linie Vertragsrecht, welches überwiegend von der Rechtsprechung erweitert wird. In zweiter Linie ist das Versicherungsrecht ein Schutzrecht der Versicherungsnehmer. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfolgt die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen daher nach der Auffassung eines durchschnittlichen und um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers. Dabei wird auf eine verständige Würdigung, aufmerksame Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinneszusammenhangs des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abgestellt (BGH, Urteil vom 26.01.2022 – Az.: IV ZR 144/21). Bei der Auslegung ist darauf zu achten, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer keine versicherungsrechtlichen Kenntnisse besitzt (BGH – Urteil vom 26.02.2020 – Az.: IV ZR 235/19).
Wie hat der BGH die Klausel in der BU-Versicherung ausgelegt?
"Bei der Beurteilung der Frage, wann der Versicherungsfall der
Berufsunfähigkeit vorliegt, wird der Versicherungsnehmer die Überschrift von Abschnitt 1.2 AVB finden ("Wann liegt vollständige Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen vor?") und Abschnitt 1.2.1 AVB in den Blick nehmen. Zunächst wird er sich am Wortlaut der Klausel orientieren und erkennen, dass diese zwei durch das Wort "oder" getrennte Alternativen aufführt, wobei die erste Alternative im Imperfekt formuliert ist ("6 Monate
ununterbrochen außerstande war"). Daraus wird er folgern, dass es insoweit auf eine rückblickende Beurteilung ankommt, die erst nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums möglich ist. Unter Einbeziehung der Formulierung zu Anfang der Klausel ("Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die
versicherte Person …") wird er annehmen, dass der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit nach dieser Alternative erst nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums vorliegen kann.
Nach dem Wort "oder" wird der Versicherungsnehmer die zweite Alternative für das Vorliegen vollständiger Berufsunfähigkeit erkennen ("voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist"). Er wird bemerken, dass diese Alternative im Präsens formuliert ist und keine rückschauende Betrachtung zum Gegenstand hat, sondern die Prognose, ob die versicherte Person "voraussichtlich" während eines Sechsmonatszeitraums außerstande sein wird, ihren Beruf auszuüben.
Aus dem Umstand, dass die Klausel insoweit auf eine Prognose zu Beginn eines Sechsmonatszeitraums abstellt, wird der Versicherungsnehmer folgern, dass die hieran geknüpfte Berufsunfähigkeit schon zu Beginn dieses Zeitraums vorliegt."
(Hervorhebung durch uns)
Das bedeutet...
Bei einer derartigen Klausel kann der Versicherungsfall in der BU-Versicherung sofort eintreten, nämlich dann, wenn aufgrund einer ärztlichen Prognose davon auszugehen ist, dass der Versicherungsnehmer in den nächsten 6 Monaten seinen Beruf nicht ausüben können wird (zB. nach einem schweren Unfall) oder erst nach 6 Monaten, was der Fall ist, wenn der Versicherungsnehmer über einen Zeitraum von 6 Monaten seinen Beruf nicht ausüben konnte.
Was Versicherungsnehmer und beratende Versicherungsvermittler tun sollten!
Ist für den Versicherungsnehmer erkennbar, dass er die nächsten 6 Monate seinen Beruf krankheitsbedingt zu 50% nicht mehr ausüben können wird, dürfte es sich anbieten, eine ärztliche Prognose erstellen zu lassen, die ihm entsprechendes attestiert. Damit könnte der Leistungszeitraum um 6 Monate beschleunigt werden.
Vermittler sollten bei der Eindeckung des Kunden auf die ggf. bestehende Lücke (Beginn der Unmöglichkeit der beruflichen Tätigkeit und ggf. Beginn der Eintrittspflicht des Versicherers) hinweisen und diese Lücke mit einer Krankentagegeldversicherung schließen.

Fachanwalt für Versicherungsrecht in Dortmund unterstützt Versicherungsnehmer und Versicherungsvermittler
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Ihr Marcus Scholz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Groß-, und Außenhandelskaufmann