
Gerade in der Versicherungs,- und Finanzbranche ist ein erheblicher Abgang von Handelsvertretern (Versicherungsvermittlern, Finanzdienstleistern) zu verzeichnen.
Die Fragen, die mit einem rechtssicheren Ausstieg aus dem Strukturvertrag zusammenhängen sind vielseitig und inzwischen ist auch jedem Handelsvertreter bewusst, dass dies besser mit einem spezialisierten Anwalt für Handelsrecht / Vertriebsrecht durchgeführt werden sollte. Gerade Fragen wie:
- Wie kann ich den Handelsvertretervertrag beenden?
- Habe ich einen Anspruch auf einen Buchauszug?
- Habe ich Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch?
- Wie wehre ich mich gegen Provisionsrückforderungen?
- u.v.m.
sind stets Einzelfallabhängig und sollten - am besten vor Ausspruch der Kündigung bedacht werden!
Im hiesigen Beitrag geht es aber darum, ob sich ein Handelsvertreter schadensersatzpflichtig macht, wenn er nach der Kündigung keine Geschäfte mehr einreicht?
Keine Abschlusspflicht
Ein Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB in der Verbindung mit dem Handelsvertretervertrag setzt stets eine Vertragsverletzung (Pflichtverletzung) voraus.
Aus dem Gesetz (vgl. §86 HGB) ergibt sich eine Verpflichtung- bestimmte Geschäfte abzuschließen nicht. Vielmehr heißt es dort:
"Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluß von Geschäften zu bemühen; er hat hierbei das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen."
Auch in den uns bekannten Handelsvertreterverträgen sind keine Klauseln vorhanden, die eine konkrete Abschlusszahl verlangen würde. Dies ist auch nicht mit den Zusatzvereinbarungen zu verwechseln, die eine bestimmte Abschlusszahl (meistens Einheiten (EH) für eine Beförderung vorschreiben. Demnach kann konstatiert werden- im Regelfall wird eine bestimmte Anzahl an Einheiten nicht verlangt!
Aber ein Bemühen wird geschuldet!
Was sich jedoch sowohl aus dem Gesetz und den Verträgen ergibt ist, dass der Handelsvertreter sich um den Abschluss von Neugeschäften bemühen muss!
Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach- liegt also eine Pflichtverletzung vor!
Mit eben einen solchen Fall hatte sich das Oberlandesgericht Köln zu beschäftigen.
Sachverhalt des Verfahrens
Der Kläger war als Handelsvertreter für die Beklagte-einem Strukturvertrieb tätig. Die Beklagte ist mit der Vermittlung von Bauspar- und Versicherungsverträgen, Kapitalanlagen,
Investmentfonds und Immobilien befasst, wobei es sich um Produkte von Produktpartnern der Beklagten handelt. Bei erfolgreicher Vermittlung erhält die Beklagte eine Provision des jeweiligen Produktpartners, von der sie einen Teil der
Provision an den Handelsvertreter weiterleitet und einen Teil als sog. „Overhead“ einbehält. Das von einem Handelsvertreter bei der Beklagten eingereichte Geschäft wird von der Beklagten intern mit sog. Einheiten („EH“) bemessen.
Der Handelsvertreter erklärte die Kündigung des
Vermittlervertrages.
In dem Zeitraum von September 2017 bis August 2020 erreichte der Kläger für Abschlussprovisionen 16.327 EH, was zu anteiligen Provisionseinnahmen der Beklagten (Overhead) von insgesamt 39.578,76 € bzw. 1.099,41 € monatlich führte.
Von September 2020 bis Februar 2021 erzielte der Kläger lediglich 69 EH, der bei der Beklagten diesbezüglich verbliebene Overhead betrug 181,90 €.
Der Kläger hat behauptet, der Rückgang der Geschäftszahlen sei auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, da diese einen persönlichen Kontakt zu den Kunden
verhindert habe; auch sei eine Kontaktaufnahme per Telefon, E-Mail oder Telefax aus Rechtsgründen ausgeschlossen gewesen.
Die Beklagte (Strukturvertrieb) hat behauptet, der Kläger habe seit Ausspruch seiner Kündigung keine vertrieblichen Aktivitäten zugunsten der Beklagten mehr entfaltet. Der Kläger habe,
wie andere Handelsvertreter nach Ausspruch einer Kündigung, Geschäft „geschoben“, um die der Beklagten zustehenden Overheadkosten einzusparen und nachfolgend Provisionen unter Ausschluss der Beklagten zu generieren. Den Bedarf
der Kunden aufgrund einer Änderung ihrer persönlichen Verhältnisse wie Heirat, Geburt eines Kindes, Umzug, Berufswechsel, was stets einen Anpassungsbedarf zur
Folge habe, habe der Kläger nicht gedeckt.
Das Oberlandesgericht Köln gab dem Strukturvertrieb Recht und verurteile den Versicherungsvermittler zum Schadensersatz
Mit Urteil vom 22.09.2023 (Az. 19 U 150/22) stellte der 19. Zivilsenat des OLG Köln fest:
"Auf die zugesprochene Widerklageforderung beschränkte Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet.
Die Beklagte hat lediglich einen Anspruch gegen den Kläger auf Schadensersatz in Höhe von 4.490,19 €.
Zutreffend hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil festgehalten, dass der Beklagten gegen den Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB, § 86 Abs. 1 Hs. 1 HGB in Verbindung mit dem Vermittlervertrag zusteht.
Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts an, die lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen geben:
Ein Anspruch auf Schadensersatz der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB erfordert die Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Beklagten, namentlich einen Verstoß gegen die in § 86 Abs. 1 Hs. 1 HGB normierte Pflicht, sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen. Eine solche Pflichtverletzung ist vorliegend anzunehmen.
Aber wie konnte der Strukturvertrieb beweisen, dass sich der Handelsvertreter nicht bemüht hatte?
Grundsätzlich muss derjenige, der sich auf eine Pflichtverletzung beruft- diese darlegen und beweisen!
Und genau hier liegt die Besonderheit dieses Urteils!
Denn nach Ansicht des Senats war dies vorliegend nicht der Fall. Vielmehr treffe den Handelsvertreter eine sekundäre Darlegung,- und Beweislast. So führte der Senat aus:
"Allerdings ergibt sich aufgrund des unstreitigen Beklagtenvortrags, namentlich zu den vom Kläger generierten Einheiten (EH) in der Zeit von September 2017 bis August 2020 von 16.327 EH im Vergleich zu den erwirtschafteten Einheiten
in der Zeit nach der Kündigung von September 2020 bis Februar 2021, dass der Kläger nach dem Ausspruch seiner Kündigung seine Tätigkeit für die Beklagte nur noch in einem Umfang ausübte, der nicht mehr den ihm obliegenden Pflichten aus dem Vermittlervertrag entsprach. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass ihn als Handelsvertreter nur eine Bemühenspflicht aber keine Abschlusspflicht trifft. Allerdings stellt der hier ganz erhebliche Einbruch der vom Kläger für die Beklagte vermittelten Abschlüsse im Zeitraum nach der Kündigung im Vergleich zu den
erreichten Abschlüssen im Vergleichszeitraum von September 2017 bis August 2020 ein ausreichendes Anzeichen dafür dar, dass der Kläger seiner Bemühenspflicht ab der von ihm ausgesprochenen Kündigung gerade nicht mehr ausreichend
nachgekommen ist. Es oblag danach dem Kläger im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, vorzutragen, warum dieser erhebliche Rückgang auf anderen Umständen beruhte als auf einer Einschränkung der von ihm entfalteten Tätigkeit.
Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär
darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm ohne weiteres möglich
und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen."
Wie wird der Schadensersatzanspruch berechnet?
Ist eine Pflichtverletzung bewiesen, muss hierdurch ein konkreter Schaden dargelegt und im Zweifel bewiesen werden. Vorliegend machte der Strukturvertrieb geltend, dass ihm ein Schaden in Höher des ausgebliebenen Oberhemds entstanden sei.
Die Berechnung- nach Ansicht des OLG Köln (der Strukturvertrieb hatte im Verfahren deutlich übertrieben) solle wie folgt erfolgen:
In einem ersten Schritt soll der durchschnittliche Overheadprojektor der vergangenen drei Jahre ermittelt werden.
Bsp: Im Vergleichszeitraum von September 2017 bis August 2020 (36 Monate = 16.327 EH = Overhead von 39.578,76 €,
Dieses Ergebnis wird dann auf einen Monat herunter gerechnet.
Vorliegend ergäbe dies durchschnittlich pro Monat 1.099,41 €)
Demgegenüber wird dann der für den Zeitraum nach der Kündigung bis zur Beendigung generierte Overhead in Abzug gebracht:
Für die Zeit nach der Kündigung (September 2020 bis Februar 2021 = 6 Monate = 69 EH = Overhead von 181,90 €, somit durchschnittlich pro Monat 30,27 €)
Naheliegend wäre jetzt der sich daraus ergebende Minderanfall des Overheads für die Beklagte in Höhe von 6.414,56 € (= 6 Monate x 1.099,41 € = 6.596,46 € - 181,90 €) als Schaden der Beklagten anzunehmen.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Vielmehr stellt sich hier der Senat auf die Seite des Handelsvertreters und unterstellt, dass eine starre Grenze nicht festgelegt werden kann.
"Vielmehr ist hier zu beachten, dass eine Pflichtverletzung des Klägers nicht bereits dann angenommen werden kann, wenn es in einzelnen Zeiträumen zu abweichenden Vermittlungserfolgen kommt. Denn der jeweilige Tätigkeitsumfang, den ein
Handelsvertreter zur ordnungsgemäßen Pflichterfüllung aufwenden muss, kann nicht
starr festgelegt werden, sondern bewegt sich in einer gewissen Bandbreite. Hinzu kommt, dass der mit der Tätigkeit erzielte Erfolg des Handelsvertreters auch auf einem überobligatorischen Einsatz beruhen oder – zumindest zum Teil - glücklichen Umständen geschuldet sein kann. Somit kann bei Feststellung einer
Pflichtverletzung nicht jede Abweichung nach unten bei den erwirtschafteten Einheiten bereits einen Schaden des Unternehmers darstellen. Vielmehr ist hier von einer Schwankungsbreite des Erfolgs auszugehen. Um diesen Umständen ausreichend Rechnung zu tragen hält der Senat es in Abwägung aller in dem vorliegenden Einzelfall relevanten Gesichtspunkte für notwendig und angemessen,
bei der Schadensschätzung einen Abzug von 30% von der sich ergebenden Differenz der erwirtschafteten Einheiten bzw. des sich daraus ergebenden Overheads für die Beklagte bei Vergleich der Zeiträume vor und nach der Kündigung vorzunehmen. Danach ergibt sich ein Schaden von 4.490,19 €."
Was müssen Handelsvertreter nach der Kündigung beachten?
Das Urteil zeigt eindrucksvoll, dass es ein gefährliches (teures) Spiel sein kann, nach der Kündigung einfach die Tätigkeit einzustellen. Jedem Vertragspartner -sowohl Strukturvertrieb als auch Handelsvertreter ist anzuraten, sich an ihre vertraglichen Pflichten zu halten und das Handelsvertretervertragsverhältnis ordentlich abzuwickeln.
Oft gibt es aber auch gewichtige Gründe- die auch Grund der Kündigung waren- die eine Fortführung des Vertrages- in der gleichen Intensität- unmöglich machen. Diese Gründe können durchaus dahingehend tragfähig sein, einen Schadensersatzanspruch auszuschließen. Denn dieser setzt nach wie vor auch ein Verschulden voraus.
Liegen also Umstände vor, die einen Umsatzrückgang rechtfertigen, der nicht mit einem Verschulden des Handelsvertreters zusammenhängen. Hierzu ist die Rechtsprechung im stetigen Wandel, weshalb dringend zu empfehlen ist, den Ausstieg mit einem spezialisierten Anwalt strategisch anzugehen.

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