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1. Ein Regressanspruch gemäß §§ 426 Abs. 2 BGB, 116 Abs. 1 Satz 2 VVG iVm D.3.1 und D.3.3 AKB setzt voraus, dass zwischen dem Versicherer und dem ohne gültige Fahrerlaubnis fahrenden Fahrzeugführer ein Gesamtschuldverhältnis iSv § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG besteht, der den Schaden regulierende Versicherer aber im Innenverhältnis leistungsfrei ist.
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2. Dass der Fahrzeugführer zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht Versicherungsnehmer war, schließt ein Gesamtschuldverhältnis nach § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG nicht aus, da sich die Regelung über ihren Wortlaut hinaus auch auf mitversicherte Personen erstreckt.
LG Darmstadt, Urteil vom 25.11.2022 – 26 O 158/21
Sachverhalt
Das über die Versicherungsnehmerin versicherte und vom Ehemann geführte Kfz kollidierte im Kreuzungsbereich mit einem anderen Kfz, welches den Kreuzungsbereich bei grünem Licht passierte. Der Unfall wurde unstreitig vom Fahrer des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs verursacht. Aufgrund der Fahrzeugkollision kam es zu einem erheblichen Sach- und Personenschaden, den die Klägerin (KfZ-Haftpflichtversicherer zwischenzeitlich in Höhe von 17.958,41 EUR regulierte. Der Fahrer des versicherten Fahrzeugs (Beklagte zu 2) führte das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ohne über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis zu verfügen. Er war bereits am 13.10.2015 vom AG Darmstadt wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr sowie Urkundenfälschung rechtskräftig verurteilt worden. Mit dem rechtskräftigen Urteil wurde gegenüber dem Beklagten zu 2) ua eine Fahrerlaubnissperre von 10 Monaten angeordnet.
In den maßgeblichen Versicherungsbedingungen heißt es:
D.1.3 AKB
„Der Fahrer des Fahrzeugs darf das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nur mit der erforderlichen Fahrerlaubnis benutzen. Außerdem dürfen Sie, der Halter oder der Eigentümer das Fahrzeug nicht von einem Fahrer benutzen lassen, der nicht die erforderliche Fahrerlaubnis hat.“
Hinsichtlich der Folgen einer Obliegenheitsverletzung bestimmt D.3.1 Abs. 1 AKB:
„Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in D.1 und D.2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzten Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.
Einschränkend heißt es hierzu in D.3.2 AKB:
„Abweichend von D.3.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit die Pflichtverletzung weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch für den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich ist. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.“
Einschränkend heißt es sodann in D.3.3 AKB, dass die sich aus den vorgenannten Bestimmungen erbebende Leistungsfreiheit in der Kfz-Haftpflichtversicherung auf den Betrag von höchstens je 5.000 EUR beschränkt ist.
Vorgerichtlich war der Fahrer der Auffassung, es bestünde kein Regressanspruch, weil nicht er- sondern seine Frau Versicherungsnehmerin sei. Seine Frau- die ebenfalls in Anspruch genommen worden war, bestritt, dass sie gewusst habe, dass ihr Mann das Fahrzeug geführt habe.
Die Entscheidung des Landgerichts Darmstand
I. Die Klägerin (Versicherer) hat gegenüber dem Fahrer einen Anspruch auf Zahlung von 5.000 EUR.
Der Zahlungsanspruch folgt aus §§ 426 Abs. 2 BGB, 116 Abs. 1 Satz 2 VVG iVm D.3.1 und D.3.3 AKB.
Er setzt voraus, dass zwischen der Klägerin und dem Fahrer (Beklagten zu 2) ein Gesamtschuldverhältnis iSv § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG besteht, die den Schaden regulierende Klägerin aber im Innenverhältnis in Höhe von 5.000,- Euro leistungsfrei geblieben ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Durch das Unfallereignis vom 20.6.2016 wurde zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) ein Gesamtschuldverhältnis iSv § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG begründet. Die Ersatzpflicht des Beklagten zu 2) gegenüber den beim Unfall geschädigten Personen folgt aus §§ 17, 18 StVG. Dass er zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht Versicherungsnehmer war, schließt ein Gesamtschuldverhältnis nach § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG nicht aus, da sich die Regelung über ihren Wortlaut hinaus auch auf mitversicherte Personen erstreckt (BGH Urt. v. 23.7.2019 – VI ZR 337/18).
Die Eigenschaft als mitversicherte Person folgt für den Beklagten zu 2), der das Kfz zum Unfallzeitpunkt führte, aus A.1.2 lit. C AKB. [...]
Die Klägerin ist gegenüber dem Beklagten zu 2) auch in Höhe von 5.000 EUR leistungsfrei geblieben. Die Leistungsfreiheit ergibt sich aus D.3.1, D.3.2 und D.3.3 AKB, da der Beklagte zu 2) seine vertragliche Obliegenheit aus D.1.3 AKB vorsätzlich verletzt hat und ihm ein Entlastungsbeweis nach D.3.2 nicht gelungen ist.
Der Beklagte zu 2) hat gegen seine vertragliche Obliegenheit aus D. 1.3 AKB verstoßen, da er das bei der Klägerin versicherte Kfz ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis geführt hat. Er verfügte zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis. Daran ändert auch sein Vortrag nichts, wonach er zum Unfallzeitpunkt im Besitz einer in der Türkei gültigen Fahrerlaubnis gewesen sei. Letzteres wäre nach § 29 FeV allenfalls dann von Relevanz, wenn er zum Zeitpunkt der Unfallfahrt nicht in Deutschland wohnhaft gewesen wäre, was der Beklagte zu 2) aber selbst nicht behauptet.
Aber selbst dann stünde einer Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 FeV immer noch entgegen, dass ihm gegenüber mit Urteil des AG Darmstadt vom 13.10.2015 eine zehnmonatige Fahrerlaubnissperre angeordnet wurde, § 29 Abs. 1 Nr. 4 FeV.
Der Beklagte zu 2) hat seine vertragliche Obliegenheit aus D. 1.3 AKB auch vorsätzlich verletzt. Ihm wurde bereits mit Urteil des AG Darmstadt vom 13.10.2015, also knapp acht Monate vor der streitgegenständlichen Unfallfahrt vor Augen geführt, dass er nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügt, um ein Fahrzeug auf öffentlichen Straßen zu führen. Er kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, zur Unfallfahrt über eine in der Türkei gültige Fahrerlaubnis verfügt zu haben. [...]
Dem Beklagten zu 2) ist es schließlich nicht gelungen, den Entlastungsbeweis aus D.3.2 AKB zu führen.
Nach der Regelung in D.3.2 AKB, die im Wesentlichen der Regelung in § 28 Abs. 3 VVG nachgebildet ist, entfällt die Leistungsfreiheit, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist.
Soweit der Beklagte zu 2) vorträgt, dass das streitgegenständliche Unfallereignis auf eine defekte Ampelanlage zurückzuführen sei, sich in dem Unfall also ein unabwendbares Ereignis verwirklicht habe, fehlt es gerade mit Blick auf die im Rahmen des vorangegangen Strafverfahrens eingeholte Auskunft des Straßen- und Verkehrsmanagements Darmstadt, wonach Anhaltspunkte für eine Fehlschaltung der Ampelanlage zum Unfallzeitpunkt nicht vorlagen, an substanziierten Vortrag. [...]
Der Anspruch auf Zahlung von 5.000 EUR ist auch nicht verjährt. Regressansprüche nach §§ 426 Abs. 2 BGB, 116Abs. 1 Satz 2 VVG unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB. [...]
II. Die Klägerin hat gegenüber der Versicherungsnehmerin Beklagten zu 1) keinen Anspruch auf Zahlung von 5.000 EUR.
Ein Anspruch auf Zahlung von 5.000 EUR ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 426 Abs. 2, 116 Abs. 1 Satz 2 VVG iVm D.3.1 und D.3.3 AKB.
Soweit die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1) habe ihre vertragliche Obliegenheit aus D. 1.3 AKB verletzt, indem sie dem Beklagten zu 2) das versicherte Fahrzeug im Vorfeld der Unfallfahrt zur Benutzung überlassen habe, ist sie beweisfällig geblieben.
Die Beklagte zu 1) bestreitet nicht, dass sie wusste, dass der Beklagte zu 2) keine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis besitzt. Dies allein begründet aber noch keine Obliegenheitsverletzung nach D. 1.3 AKB. Vielmehr hätte sie dem Beklagten zu 2) das Fahrzeug im Vorfeld des Unfallereignisses auch zur Benutzung überlassen müssen.
Dies bestreitet die Beklagte zu 1). Sie trägt vor, dass der Beklagte zu 2) nicht berechtigt gewesen sei, das Fahrzeug zu nutzen. Sie habe ihm die Nutzung auch im Zusammenhang mit der Unfallfahrt nicht gestattet. Der Beklagte zu 2) habe das Fahrzeug vielmehr in ihrer Abwesenheit an sich genommen. Damit hat die Beklagte zu 1) ihrer sekundären Darlegungslast genügt, sodass es an der Klägerin lag, die vorgetragenen Obliegenheitsverletzung unter Beweis zu stellen. Dies ist der Klägerin nicht gelungen. [..]
Die Regelung in D. 1.3 AKB setzt voraus, dass der angesprochene Adressat das versicherte Fahrzeug durch eine Person benutzen lässt, die nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügt.
Die Regelung konstruiert dementsprechend nicht die Obliegenheit, Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass sich eine Person, die nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügt, des Fahrzeugs bemächtigt. Ausnahmen hiervon können nach Ansicht des Gerichts nur dann ergeben, wenn die Untätigkeit zugleich als Duldung der Fahrzeugnutzung verstanden werden kann. Hierfür liegen vorliegend aber keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. [...]
Bedeutung für die Praxis
Der Fall zeigt exemplarisch, dass in der KfZ-Haftpflichtversicherung der Fahrer des versicherten Fahrzeuges grundsätzlich mitversichert ist. Damit genießt er nicht nur Versicherungsschutz, sondern er ist auch dazu verpflichtet, die maßgeblichen Obliegenheiten einzuhalten. Tut er dies nicht, setzt er sich der Gefahr aus vom KfZ-Versicherer in Regress genommen zu werden. Das gilt nicht nur bei Fahren ohne Fahrerlaubnis, sondern auch bei allen anderen Delikten (z.B. Trunkenheitsfahrt, Teilnahme an einem Straßenrennen etc.)
Im Gegenzug dazu, kann nicht einfach unterstellt werden, dass der Versicherungsnehmer von dem Obliegenheittsverstoß gewusst hat. Will der Versicherer bei seinem Versicherungsnehmer regressirren, trägt er die volle Beweislast für eine vorsätzliche Obliegenheitspflichtverletztung- die er in der Regel nicht führen können wird.
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