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Wenn Prozesstaktik zur arglistigen Obliegenheitverletzung in der Gebäudeversicherung wird

Das Oberlandesgericht Brandenburg, wies mit Hinweisbeschluss vom 02.04.2025 – 11 U 183/24 darauf hin:

 

1. Ist der VN der Auffassung, eine aus Anlass eines früheren Versicherungsfalles vom VR erklärte Arglistanfechtung sei unwirksam, so bleibt er im Falle eines weiteren Versicherungsfalles an die vertragliche Obliegenheit gebunden, diesen (neuen) Versicherungsfall dem VR unverzüglich anzuzeigen.

2. Verschweigt der VN den neuen Versicherungsfall, um das Prozessverhalten des VR im noch laufenden Rechtsstreit um den vorausgegangenen Versicherungsfall und die aus diesem Anlass erklärte Arglistanfechtung in der Weise zu steuern, dass er vermutet, der VR werde den Prozess um die Arglistanfechtung vielleicht eher verlorengeben und eine Niederlage eher unangefochten hinnehmen, wenn der VR in dem Glauben belassen werde, nur auf den einen, ihm bereits bekannten Versicherungsfall leisten zu müssen, so handelt der VN arglistig.

Was ist passiert?

Der Versicherungsnehmer meldet einen Wasserschaden bei seinem Gebäudeversicherer. Bei der Prüfung seiner Leistungspflicht, stellte der VR fest, dass die vom VN angegebenen Quadratmeterzahlen unrichtig seien und erklärte die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung.

 

Der VN wehrte sich und erhob Klage.

 

Während des Verfahrens erlitt der VN dann einen weiteren Wasserschaden wegen eines falsch montierten Wasserrohrs.

Entgegen seiner "vertraglichen Verpflichtung" meldete er diesen Schaden jedoch nicht unverzüglich, sondern wartete zunächst ab, wie sich das bereits laufende Verfahren entwickeln würde. Insbesondere wollte er verhindern, dass sich die Meldung des neuen Versicherungsfalles negativ auf den laufenden Prozess auswirke, indem es sich für den Versicherer mehr lohnen könne, gegen eine eventuell vorteilhafte Entscheidung in Berufung zu gehen.

 

Erst als er in dem anhängigen Verfahren Recht bekam und das Gericht mit rechtskräftigem Urteil festgestellt hatte, das die Anfechtung des VR unwirksam sei, zeigte er den neuen Versicherungsfall an.

 

Der Versicherer lehnte die Leistung sodann wegen vorsätzlicher und arglistiger Obliegenheitspflichtverletzung ab, da der Versicherungsnehmer den Schaden nicht unverzüglich gemeldet hatte.

OLG Brandenburg sieht arglistige Obliegenheitsverletzung

Das OLG Brandenburg folgt der Ansicht des Gebäudeversicherers.

 

Der Senat führt zunächst aus, dass sich der VN widersprüchlich verhalten habe, wenn er einerseits behauptet (und ein diesbezügliches Klageverfahren führt), der Versicherungsvertrag würde bestehen, andererseits sich jedoch darauf beruft, er habe aufgrund der Anfechtungserklärung keine Obliegenheiten zu erfüllen.

 

Nach Ansicht des Senats, hätte der VN- sich so verhalten müssen, als wäre die Anfechtung unwirksam gewesen. Er war also dazu verpflichtet, den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen.

 

In einem weiteren Schritt unterstellt der Senat dem VN dann eine vorsätzliche Begehung. Konkret stellt der Senat fest:

 

„Für bedingten Vorsatz reicht es aus, billigend in Kauf zu nehmen, die Obliegenheit könnte bestehen, und sie dennoch nicht zu erfüllen. Der gleiche Maßstab ist an einen etwaigen Irrtum über die Rechtslage anzulegen: Wer ernstlich damit rechnet, die eigene Auffassung über den Fortfall der Obliegenheit könne unrichtig sein, und sich dennoch nicht gemäß der Obliegenheit verhält, missachtet sie bedingt vorsätzlich“

Aber der Senat geht noch weiter und unterstellt Arglist.

 

„Der Kl. selbst hat seine Vorstellungen und Beweggründe ausführlich geschildert: Er habe vermutet, die Bekl. werde sich mit dem weiteren Versicherungsfall nicht befassen wollen, weil sie sich auf vorangegangene, ihr angezeigte Versicherungsfälle auf die erklärte Anfechtung berufen und Leistungen abgelehnt habe. Er habe aber den damals laufenden Prozess um den zuvor gemeldeten Versicherungsfall und um die Wirkung der Anfechtungserklärung nicht „gefährden“ oder „belasten“ wollen, indem er einen weiteren Versicherungsfall melde und dadurch „möglicherweise … die Entscheidung über eine etwaige Berufung der Bekl.“ gegen ein ihr ungünstiges Urteil beeinflusse. Dies kann nur so verstanden werden, dass es dem Kl. gleichgültig war, ob die von ihm in Betracht gezogene Obliegenheit besteht oder nicht; er wollte sie keinesfalls sogleich nach ihrem Entstehen, sondern allenfalls später erfüllen, um seine Prozessaussichten nicht zu gefährden.“

 

Mithin kommt das Gericht zu dem Ergebnis:

 

„Mit dieser Schilderung seiner Beweggründe offenbart der Kl. zugleich seine Arglist, die ihm einen etwaigen Kausalitätsgegenbeweis abschneidet.

Die Arglist reicht über den bewussten und gewollten Obliegenheitsverstoß hinaus, indem das Motiv hinzutritt, dem Gegenüber einen Nachteil zufügen, sich also gegen seine Interessen richten zu wollen.

Diese Absicht leitete den Kl. nach seinen eigenen Angaben. Er verschwieg den neuen Versicherungsfall, um das Prozessverhalten der Bekl. im Rechtsstreit um den vorausgegangenen Versicherungsfall zu steuern. Der Kl. vermutete, die Bekl. werde den Prozess vielleicht eher verlorengeben und eine Niederlage eher unangefochten hinnehmen, wenn sie in dem Glauben belassen würde, nur auf den einen, ihr bereits bekannten Versicherungsfall leisten zu müssen. Ein weiterer Versicherungsfall könnte ihre Gegenwehr im Prozess hingegen dringender oder lohnender erscheinen lassen, weil sie dann auch von der weiteren Leistung freikäme. Dieses Verheimlichen der Umstände, die das gesamte wirtschaftliche Risiko des Prozesses ausmachen, richtete sich gegen die Interessen der Bekl. Der Kl. durfte so handeln, aber muss die sich daraus ergebenden Folgen tragen. Er hat sich im Prozess um den ersten Versicherungsfall – vielleicht – einen Vorteil verschafft und dafür die Leistungsansprüche aus dem zweiten Versicherungsfall aufs Spiel gesetzt und verloren.

 

Fazit zum Urteil

Die Entscheidung ist nicht in Gänze nachvollziehbar.

 

Sinn und Zweck der Obliegenheiten ist es, dem grundsätzlich leistungswilligen Versicherer die Möglichkeit zu geben, seine Leistungspflicht überprüfen zu können. Hierfür ist er auf die Mitwirkungspflicht des Versicherungsnehmers angewiesen.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urteil vom  7. 6. 1989 -  IV a ZR 101/88) endet die Obliegenheitspflicht, wenn der VR zu erkennen gibt, dass er nicht leisten wolle. Konkret führt der BGH aus:

"Die vertragliche Obliegenheitsgebundenheit des VersNehmers endet (unabhängig von der fortbestehenden Rechtspflicht, arglistige Täuschungen zu unterlassen) mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer seine Leistungsablehnungserklärung abgegeben hat. Hiermit ist seine Entscheidungsfindung nämlich abgeschlossen und seine Schutzbedürftigkeit entfallen.“

 

Bei einer Anfechtung des Versicherungsvertrages, erstreckt sich dies denknotwendig auch auf zukünftige Versicherungsfälle. Der Gebäudeversicherer hat vorliegend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er (auch zukünftig) nicht leisten wolle. Insoweit ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Versicherer noch schutzbedürftig und auf die Anzeige angewiesen sein sollte?

 

Erst als das Urteil rechtskräftig geworden ist, dürften-so jedenfalls nach dem BGH, die vertraglichen Obliegenheiten wieder zu erfüllen gewesen sein. Man wird in Zukunft in ähnlich gelagerten Fällen darauf achten müssen, ob sich die Gerichte eher nach den Statuten des BGH orientieren, oder ob das OLG Braunschweig hier eine Tür geöffnet hat, die bisherige Rechtsprechung des BGH in Zweifel zu ziehen?


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Ihr Marcus Scholz

Rechtsanwalt & Fachanwalt für Versicherungsrecht

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